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Im Rückblick: 7. BDÜ-Fachkonferenz Sprache und Recht, 16./17. September 2022, Berlin

 

Wer das Dolmetschen bzw. das Übersetzen im juristischen Bereich als Arbeitsschwerpunkt gewählt hat, läuft gerne Gefahr, eingezwängt im Korsett von Gerichtsverhandlungen, polizeilichen Befragungen und TKÜ oder Akten- und Dokumentenübersetzungen, den Blick auf das "große Ganze" zu verlieren. Konferenzen und Tagungen sind deshalb unverzichtbare und sehr willkommene Gelegenheiten, kurz aus den Alltags- und Arbeitsroutinen auszubrechen, den Blick wieder zu weiten und mit neuen Impulsen frisch motiviert zur Tagesarbeit zurückzukehren. Diese – zugegeben – eher allgemeingültige Laudatio auf den Mehrwert von Konferenzen trifft umso mehr zu, wenn es sich um eine Veranstaltung handelt, bei der nicht nur die inhaltliche Ausrichtung viel Inspiration und Denkanstöße bietet, sondern auch das Ambiente einen zusätzlichen Sahnetupfer auf die – alles in allem nicht immer kostengünstige – Torte setzt.

 

Eine solche Veranstaltung war ohne Zweifel die 7. Fachkonferenz Sprache und Recht, die der deutsche Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer BDÜ im September 2022 ausgerichtet hat. Tatsächlich ist es dem BDÜ mit dieser 7. Auflage nach 5 Jahren gelungen, die Veranstaltung quasi neu zu erfinden: mit einem Konzept, das nicht nur auf vielfältige Aspekte des Übersetzens und Dolmetschen abhob, sondern das mit hochkarätigen Referent:innen aus den weiteren beteiligten Bereichen der Arbeit in der mehrsprachigen Kommunikation mit juristischem Bezug – von Anwält:innen, Richter:innen und Vertreter:innen der juristischen Lehre bis hin zu Politiker:innen und KI-Expert:innen – einen interdisziplinären Spannungsbogen mit besonderem Format schlug.

 

Die Überschrift "Rechtvergleichung in der Praxis" machte deutlich, dass es hier nicht nur um die (übliche) Betrachtung terminologischer Besonderheiten bei der Übertragung von Texten aus verschiedenen juristischen Detailgebieten gehen sollte (sehr schön: neben den "großen" Sprachen Englisch, Spanisch und Französisch gab es auch Workshops für Sprachen, die ansonsten eher selten im Konferenzangebot zu finden sind, beispielsweise Niederländisch, Polnisch oder auch Tschechisch), sondern vielmehr der Umgang mit den aus unterschiedlichen Rechtssystemen und organisatorischen Strukturen einhergehenden Problemstellungen "von der Wurzel her" betrachtet werden sollte. Und so ermöglichte eine ganze Reihe von Vorträgen ein tiefes Eintauchen in andere Sphären, nicht nur zu juristischen Sachverhalten, sondern auch beispielsweise auch Refklektionen zum Stand der KI oder in den Alltag in Kanzleien, mit dem Blick auf die dortigen Legal-Tech-Anwendungen. Wo der Bezug einzelner Aspekte zum Übersetzen und Dolmetschen nicht direkt auf der Hand lag, wurde er jeweils geschickt durch Kolleg:innen der Zunft im Rahmen einer kleinen abschließenden Diskussionen am Ende jedes Themenblocks hergestellt. Und natürlich gab es auch eine Vielzahl von Blöcken mit den praktischen, die eigentliche Berufsausübung betreffenden Vortragsthemen, beispielsweise das Dolmetschen in Strafanstalten oder zu Geschäftsmodellen, mit denen sich Urkundenübersetzen als wirtschaftlich tragfähiges Standbein aufbauen lässt. Dass dies sicherlich mit Arbeitssprache Englisch einfacher ist als bei anderen und insbesondere den kleineren Sprachen, wurde nicht verschwiegen. Dennoch boten die vorgestellten Praxismodelle viele Anregungen.

 

Natürlich ist das eigentliche Thema der Rechtsvergleichung ein "großer Brocken", und nicht wenige juristische Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen stehen eher mit Skepsis davor, denn: "Rechtsvergleichung ist nur für Mutige", so das Fazit von Konferenzbesucher Fabio Said in seinem recht ausführlichen Blogbericht (Link s. Literaturteil am Ende). Rechtsvergleichung ist letztlich eine mühsame Aufgabe, bei der es häufig nicht eine einzige, allein richtige Lösung gibt; Entscheidungen sind also gefordert. Doch wer den Mut dafür aufbringt und sich damit näher auseinandersetzt, sorgt damit unbedingt für eine solide Verstärkung seines beruflichen Fundaments.

 

Sehr konkret zeigte das Eröffnungspanel zunächst die unterschiedlichen Herangehensweisen der Rechtsvergleichung: Prof. Dr. Helmut Grothe (FU Berlin) erläuterte die juristische Methode, die (zumeist im Privatrecht) verschiedene Rechtsordnungen in den vergleichenden Blick nimmt, wobei die Betrachtung auf Makro- oder auch sehr spezifisch auf Mikroebene erfolgen kann. Christin Dallmann, Diplom-Juristin mit Master-Abschluss in Legal Translation – und zudem die inhaltlich Verantwortliche für die Konferenz – , stellte mit der Gleichung "2+2=5-1" die übersetzerische Formel zur rechtsvergleichenden Suche nach dem richtigen Terminus auf: Am Beispiel der Rechtsinstitut Mord (D) und murder (UK) verdeutlichte sie, dass nicht einfach das richtige Wort gefragt ist, sondern das passende Äquivalent gesucht werden muss. Um das zu finden, braucht es auf dem 4-Schritte-Weg von "Hypothese aufstellen – Verstehen – Vergleichen – Entscheiden" fundiertes fachliches Wissen, sicheren Umgang mit sprachlichen Feinheiten und (viel) Erfahrung.

 

Dass diese Übung dennoch je nach Sprache und Rechtskreis auch an unüberwindbare Hürden gelangen kann, belegte Dr. Pavel Golovnenkov im Panel zu strafrechtlichen Aspekten am zweiten Konferenztag anhand von Beispielen aus der von ihm erstellen Übersetzung des deutschen Strafgesetzbuches ins Russische – und nicht nur an dieser Stelle kam die Sprache auf die Vermeersche Skopostheorie und das funktionale Übersetzen als Lösungsweg. Dass es zudem dabei immer – und eben nicht nur beim Übersetzen – auf den Kontext ankommt, zeigten die Ausführungen zu Interferenzen zwischen Terminologie und Substanz zwischen deutschen und englischem Recht (Prof. Michael Bohlander, Universität Durham/UK). Überraschend war es wiederum, von Henry Murillo Torres – Richter am Obersten Gerichtshof Kolumbiens – zu erfahren, warum gerade das kolumbianische Strafrecht zum Teil so deutliche Parallelen zum deutschen aufweist (aufbauend auf der deutschen Dogmatik wird hier über ein Rezeptionsverfahren ein Dialog zwischen zwei Rechtskulturen etabliert). Wie sehr sich allerdings die Systeme in der Praxis – und konkret mit Blick auf die Rolle und Stellung der Dolmetschenden – unterscheiden können, machten die Ausführungen von Avv. Vanessa Lettieri aus dem Alltag einer auf deutsches und italienisches Strafrecht spezialisierten Kanzlei deutlich.

 

Insbesondere die Aspekte Vergütung und Qualifikation der Dolmetschenden bei Gericht bildeten quasi den nahtlosen Übergang zu einem Themenbereich, der derzeit die in Deutschland allgemein für das Dolmetschen vereidigten Kolleg:innen nicht nur aufgrund der technischen Entwicklungen im Bereich der Videotechnik und des Ferndolmetschens sehr umtreibt: Eine gesetzliche Neu-Ordnung der allgemeinen Beeidigung (das Stichwort heißt Gerichtsdolmetschergesetz, kurz GDolmG), die aus der bisher lebenslangen eine befristete (5 Jahre) Ernennung macht, die zudem künftig nur noch mit dem Nachweis einer einschlägigen staatlich anerkannten Prüfung (ohne Berücksichtigung ggf. langjähriger Berufserfahrungen auf Basis von Quereinstiegsqualifikation als Alternative, wie bisher) vergeben wird. Hier[BE1]  war es dem BDÜ gelungen, ein politisches Panel mit einem Vertreter der für den Entwurf des Gesetzes (aus dem Jahr 2019) zuständigen – jetzt oppositionellen – Partei und eine derzeit in der aktuellen Ampel-Fraktion zuständige Parteienvertreterin zusammenzustellen. Beide konnten sich anhand der zahlreichen Redebeiträge aus dem Plenum ein sehr deutliches Bild davon machen, wie sehr im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses doch die Realität der Praxis ausgeblendet worden war – trotz intensiver Bemühungen der deutschen Berufsverbände, die Detailprobleme sichtbar zu machen und verträgliche Regelungen zu finden.

 

Während bei dieser Thematik seit der 7. Fachkonferenz Sprache und Recht die Entwicklung eher zähflüssig verläuft, zeigt sich mit Blick auf andere Aspekte jedoch fast erschreckend, wie unfassbar rasant sich Dinge heute nicht nur weiterentwickeln, sondern gravierend verändern. So muten im Rückblick viele Ausführungen im Rahmen des Themenschwerpunkts "Legal Tech" zum Status der KI in Kanzleien angesichts von ChatGTP&Co. fast wie Schnee von gestern an, und selbst der damals als ferne Zukunft apostrophierte "Robo-Richter" wird inzwischen ernsthaft bei juristischen Veranstaltungen diskutiert. Das in einem Beitrag noch in den Raum gestellte Postulat, Maschinelle Systeme seien nicht in der Lage, kontextabhängige Entscheidungen zu treffen, wie es eben bei einer Mehradressatensprache wie der Rechtssprache erforderlich ist, stellt sich inzwischen bereits ganz anders dar. Was bleibt, ist die Frage nach der Haftung – bei zunehmender Verbesserung der KI-Systeme wird sich der Fokus mehr und mehr darauf richten. Der Mensch letztlich nur noch als bloßer Kontrolleur der Maschine, der aber am Ende für die Richtigkeit und die Konsequenzen gerade stehen muss: Sollte dies die Zukunft sein, so müssten – so eine Stimme im Rahmen der Podiumsdiskussion – auch die Vergütungsmodelle überdacht werden. Wohlgemerkt: Es ging um die Vergütungsmodelle der Kanzleien, wo vor dem Hintergrund der (zeitsparenden) Unterstützung durch die KI-Helferlein auch zunehmend darüber nachgedacht werde, vom Modell der "billable hours" abzugehen und andere Modi zu finden. Ob die Empfehlung aus dem Plenum, auch für Übersetzungen andere Modelle zu suchen und künftig statt nach Wort und Zeilen besser nach Stundensätzen abzurechnen, dem ungebremsten Sinkflug der Honorare für Übersetzungsleistungen (bei denen ja immer die Zeitersparnis aus dem Technik-Einsatz eingepreist werden soll) Einhalt gebieten kann? Oder braucht es ganz andere Abrechnungsmodelle, beispielsweise Pauschalen für Leistungseinheiten? Zu schade, dass die enge Taktung der vielfältigen Vortragsslots hier nicht mehr Zeit für Diskussion und Reflektion bot.

 

Allerdings: Vor der Abrechnung von Leistungen steht zunächst einmal die Beauftragung, und hier fand sich ein interessanter Themenblock in einem Podium zu den Erwartungen von und zur Zusammenarbeit von Rechtsübersetzer:innen mit Kanzleien. Regelmäßig fiel dabei das Stichwort "Lawyer Linguists", die gleichermaßen eine sprachliche und juristische Ausbildung bzw. einen entsprechenden Abschluss vorweisen können, und dies häufig sogar nicht bezogen auf die großen Rechtsbereiche, sondern mit Spezialisierung auf einzelne (Nischen-)Themen. Gerade anspruchsvolle Kanzleien und spezialisierte Übersetzungsanbieter suchen bevorzugt nach solchen "Mehrfach-Spezialisten", sei es als Mitarbeiter oder für die externe Beauftragung. Zwar liegt derzeit wohl auch hier noch der Fokus vielfach auf Kombinationen mit der englischen Sprache – doch das Grundprinzip, eine juristische und eine übersetzerische Fachausbildung zu kombinieren (dem beispielsweise die aktuelle Struktur von Aus- und Weiterbildungsgängen durchaus entgegen kommt) deutet sich als mögliches Modell der Zukunft an und wurde entsprechend intensiv in den Pausen auf den Gängen des Tagungsorts diskutiert. Wobei wir abschließend beim eingangs erwähnten Sahnetupfer wären: Für diese 7. Fachkonferenz Sprache und Recht hatte sich der BDÜ vom früheren Standort Hannover verabschiedet und sich für den Umzug nach Berlin entschieden – genauer: in die Räumlichkeiten des zu DDR-Zeiten legendären Kinopalasts KOSMOS, der heute als Veranstaltungsort – auch mit seiner Umgebung rund um die Karl-Marx-Allee im Stadtteil Friedrichshain – ein Ambiente mit ganz besonderem Flair bietet.

 

Einhelliges Fazit – auch der zwölfköpfigen Delegation von ÖVDG-Mitgliedern: Eine sehr bereichernde Erfahrung mit vielen Anregungen und Inspirationen. Und es bleibt die große Hoffnung, dass – auch angesichts der rasanten Entwicklungen durch den Einsatz von KI auch im Bereich des juristischen Übersetzens und Dolmetschens – bis zur nächsten Fachkonferenz Sprache und Recht vielleicht deutlich weniger Zeit ins Land geht als 5 Jahre.

 

Wer sich von der Atmosphäre der Konferenz inspirieren lassen oder sich noch tiefer informieren möchte, findet interessante Konferenzsplitter unter dem Hashtag #fsr2022 auf twitter oder auch in verschiedenen Blogbeiträgen, so z.B. im zitierten von Urkundenübersetzer Fabio Said (https://linguabrasilis.de/konferenz-zu-rechtsvergleichung-in-der-uebersetzungspraxis/) oder von Dolmetscher Thomas Baumgart (https://thomasbaumgart.eu/blog/bericht-von-der-7-bdu-fachkonferenz-sprache-und-recht/).

 

 

Ausführlichere Berichte, Impressionen und Abdrucke ausgewählter Beiträge finden sich auch in den MDÜ-Ausgaben 4/21-22 sowie 5-6/21-22. Und auf der Website der Veranstaltung steht ein Tagungsband mit einer Vielzahl von Vorträgen als PDF kostenfrei zum Download zur Verfügung: www.fsr2022.de/downloads/FSR2022_Tagungsband.pdf

 

 

 

O-Ton / Zitat Frau Bernardini:

 

 

"Gereizt hat mich die hochkarätige, vielfältige Veranstaltung im einschlägigen Expertenkreis, die "Rechtsvergleichung" hat mich ja viele Jahre hindurch bei meinen Studien begleitet; auch der "Austragungsort" . Gefallen hat mir: die gute Organisation, das ausgewogene Programm, die vielen Kontakte, auch in den kleineren Workshops; die groß angelegten Vorträge gaben Einblick in die Situation anderer, auch weit entfernter Länder; im kleineren Kreis konnte man das eigene Wissen gut überprüfen, um dann ebenso angeregt wie zufrieden wieder an den eigenen Schreibtisch zurückzukehren."

 

 

 


 [BE1]Frau Bernardini: Hier könnte ggf. noch ein Bezug zur Situation in Österreich / ein Vergleich gut passen?

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